Charley's Tante

Hamburger Engelsaal


Der Hamburger Engelsaal bleibt seiner Tradition, namhafte Musiktheaterstücke liebevoll für die kleine Bühne mit großer Publikumsnähe umzuarbeiten, treu. Der Prinzipal Karl-Heinz Wellerdiek hat das Buch für die Adaption geschrieben und sich dabei erkennbar an die wesentlichsten Motive und Figuren der Vorlage von Brandon Thomas gehalten.
Durch den Hamburger Engelsaal geht ein angenehmer Hauch südamerikanischen Flairs, wenn Amazonaskapitän Frank Bamberger in Brasilien regelmäßig auf große Fahrt geht und mit gleicher Regelmäßigkeit an Land Touristen als Flussfahrtkunden zu akquirieren bemüht ist. Allerdings ist das Geschäft rückläufig, und so blieben ihm von seiner Crew nur der Steuermann und Alfonso, der sowohl schlag- wie auch fingerfertige Barmann am Klavier.
Immerhin trifft Kapitän Bamberger auch in Brasilien seine Jugendfreundin wieder, die er noch immer verehrt und die sich aufgrund einer Einladung ihres Neffen Charley für eine Reise an Bord des Schiffes „MS Brasilia“ ankündigt. Die beiden mitreisenden Junggesellen Charley und Jakob rechnen fest mit der resoluten wie vermögenden Witwe, die als Anstandsdame an Bord des Schiffes fungieren soll, auf dem sich auch die beiden attraktiven, noch nicht vergebenen Cousinen Kathrin Kröger und Amanda da Silva befinden. Als aber nur das Gepäck der Tante an Bord gebracht wird und die Tante auf sich warten lässt, werden die beiden Junggesellen nervös und überreden den karnevalerprobten Kapitän dazu, sich ins Zeug der reichen Witwe zu schmeißen und sich als Charleys Tante auszugeben. Die Rolle gefällt Kapitän Bamberger mehr und mehr, kann er doch in fremder Haut nach Herzenslust kuppeln und tratschen, ohne sich um das Ansehen seiner wahren Person sorgen zu müssen. Die Figur, die er eigentlich nur des guten Zwecks wegen darstellen möchte, entfesselt bei ihm die Lust am Rollenspiel, dem er zwangsläufig treu bleiben muss, als Charleys echte Tante doch noch an Bord erscheint.
So kommt es unabhängig von der Wetterlage zu Turbulenzen und Schweißperlen auf der Stirn von Kapitän Bamberger, der auf ein solches Zusammentreffen nicht vorbereitet ist.

Den Charakter der mehrfach verfilmten Vorlage zu bewahren und den Stoff gleichermaßen dem seinerseits charakteristischen Konzept des Engelsaals anzupassen, dürfte eine große Herausforderung gewesen sein. Karl-Heinz Wellerdiek hat es geschafft, dem Stoff neuen Pep zu geben und die Geschichte nuanciert und mit wenigen, dafür sehr präsenten Figuren zu erzählen. Die beiden verliebten Junggesellen Jakob und Charley sind genauso gegensätzlich wie die beiden Cousinen. Jakob strebt eine Beamtenlaufbahn an und blättert fortan in einem Wälzer von vermeintlich ergiebigem Erkenntnisgewinn, wenn es beispielsweise heißt: „Besteht der Personalrat nur aus einer Person, erübrigt sich die Unterteilung nach Geschlechtern.“ Kathrin Kröger hingegen mit ihrem genügsamen Intellekt kann er damit beeindrucken, während es Charley mit der selbstbewussten Amanda da Silva weniger leicht hat. Als er ihr beispielsweise anbietet, für sie einen besonderen Cocktail zu mixen, schlägt ihm anstelle eines charmanten „Sehr zuvorkommend“ nur ein schroffes „Zu welchem Zweck?“ entgegen. Die Charaktere sind gut ausgearbeitet und die dazu passenden Dialogsequenzen herrlich pointiert. Abgerundet werden die Dialoge durch eine gelungene Auswahl an Liedern, unter anderem von Friedrich Schröder, der die Musik für die Verfilmung mit Heinz Rühmann schrieb. Ergänzt wird die Komödie durch weitere Songs wie beispielsweise „Sei mal verliebt“ und „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?“. Beide Titel werden von Karl-Heinz Wellerdiek in der Rolle von Charleys Tante sehr gut und teilweise herrlich schnippisch interpretiert. Insbesondere das vermeintlich ungezwungene und anrüchige Verständnis von Charleys Tante in Bezug auf Treue ruft bei Amanda da Silva Entsetzen hervor, wie es von Dorothea-Maria Müller mimisch imposant und sehr glaubhaft dargestellt wird. Überhaupt ist Dorothea-Maria Müller als Charakterdarstellerin auffallend konsequent und damit sehr präsent auf der Bühne, was auch in Bezug auf ihre melodiöse Stimme zu betonen ist. Hanna-Isabelle Goossens spielt die Figur der unbeholfenen Kathrin Kröger liebevoll und mit großem Engagement. Sie ist komödiantisch und erntet nicht nur für ihren tänzerisch locker aufgepeppten Gesangsbeitrag „Tante Anna aus Havanna“ großen Beifall. Björn Schäffer ist als Solist stimmlich stark und lässt in das Schauspiel eine große Portion Komik einfließen. Alternierend für Philip Lüsebrink, der für die Kostüme und die Regie verantwortlich ist, schlüpft er in die Rolle des Charley. Stefan Linker geht in der Rolle des strebsamen Beamtensprosses mit Gestik, Mimik und Betonung vollkommen auf. Er spielt sehr dynamisch und amüsant den Kapitänsneffen Jakob. Karin Westfal ist eine hervorragende Besetzung für die Rolle der Dona Lucia Alvadorez, denn sie gibt der Figur das, was sie ausmacht: das Stilvolle und Erhabene, aber auch das verborgen Emotionale jenseits der bewusst gewahrten Distanz. Wie Karl-Heinz Wellerdiek sich in einem Kostüm von Harald Glööckler vom stattlichen Kapitän in Charleys Tante verwandelt, ist unbedingt sehenswert. Es kommt der Adaption zugute, dass durch das Weglassen von einigen Figuren auch die klamaukhaften Anbiederungen von Verehrern gegenüber Charleys Tante entfallen. Stattdessen streut Pianist und zugleich musikalischer Leiter Herbert Kauschka vom Rand der Bühne immer treffsichere Sprüche ein. Presse-Referenzen.de meint: „Ein Musik-Schauspiel in Hochform! Charleys Tante im Engelsaal ist eine dramaturgische Punktlandung und zugleich eine Anreihung verwöhnender Momente für die Ohren.“