Pinnochio

Winterhuder Fährhaus

Der kleine Pinocchio mit der verräterisch langen Nase ist in dem Musical von Christian Berg und Konstantin Wecker eine grandiose Figur, die ein eigenes Musical verdient hat. Eigentlich ist die Geschichte von der Holzpuppe kein Märchen mit den typischen Zutaten einer Liebesgeschichte mit König, Prinz und Widersacher. Ein Märchenland gibt es auch nicht- nur eine triste Werkstatt mit einem traurigen Schnitzer, der gerne einen eigenen Sohn hätte. Es geht also um die Liebe zwischen Vater und Sohn und um die Eigenschaften, die ein guter Sohn immer haben sollte. Dazu braucht es immerhin eine Fee, die der Holzpuppe zum Menschwerden verhilft und zwei Schurken, die Pinocchios Selbstfindung erschweren und ihn auf die Probe stellen. Christian Berg braucht für die große Geschichte nur ein kleines Ensemble aus fünf Mitwirkenden und eine eher schlichte Kulisse. Die großen Emotionen und die Handlungsverläufe mit all ihren Wendungen finden daher hauptsächlich ihre Bühne und ihre Kulisse in der Spielkunst der Akteure, die ohne Moderator oder Geschichtserzähler auskommen. Das ist für ein Musical von Christian Berg eher ungewöhnlich, in diesem Fall aber ein großer Pluspunkt. Dadurch haben die Figuren viel Raum, sich zu entwickeln und von sich selbst zu erzählen, so dass sie eine Brücke aus sich heraus zum Publikum schlagen. Gepetto entführt das Publikum zu Beginn des Stückes in seine Werkstatt und lässt mit seiner selbst geschaffenen Holzpuppe mit den Zuschauern als Zeuge die Geschichte beginnen. Der Anfang ist vielversprechend, und dass die Nähe zum Publikum beibehalten wird, ist der Zauber dieser Geschichte. Konstantin Wecker hat tief in sein künstlerisches Arsenal gegriffen und den bunten Figuren muntere Songs auf die Lippen geschrieben.

Dass die Holzpuppe Pinocchio so lebhaft wie naiv bei dem Publikum ankommt, ist vor allem der Verdienst von Raphaela Steiner, die in ihrer Rolle aufgeht. Mit enormer Ausdruckskraft und hölzernen Bewegungen, zu denen sie nach gelenken Tanzeinlagen spielend zurückfindet, macht sie Pinocchio von Anfang an zu einer Identifikationsfigur für das Publikum. Sie überbrückt die Gegensätze, die Pinocchio in sich birgt, denn er verhält sich kindlich und ist gleichzeitig zunächst eine Puppe, die erst noch Mensch werden will. Wibke Kienle mimt eine souveräne Fee, die aber auch bezaubernd ist. Ihre Gesangsdarbietung Gepetto – zugleich Intro des Musicals – bezaubert geradezu das Gehör. Unnachahmlich ist das Fuchs-Kater-Gespann, das von Theodor Reichardt und Alexandra Kurzeja erfrischend und erquickend gespielt wird. Beide sind so gegensätzlich in ihrer Spielweise, machen aber gerade deshalb das Duo zu einem untrennbaren Gespann. In dem Fuchs Amadeo vermag man kaum mehr etwas Menschliches zu erkennen. Theodor Reichardt spielt den hinterhältigen Fuchs eindrucksvoll, der sich so galant zu bewegen und auszudrücken weiß, dass er als Figur unmenschlich schlüpfrig und wortwörtlich unfassbar wird. Alexandra Kurzeja spielt die Rolle des tollpatschigen Ganoven-Katers, der in ihrer Darstellung aber nicht einfach nur dumm gerät, sondern ein Gegenentwurf des hinterhältigen Fuchses ist, der andere für seine Zwecke zu benutzen weiß. Sie gibt dem Duo die amüsante Seite und wechselt bei der Teilung der Beute, bei der die von ihr gespielte Figur immer leer ausgeht, abrupt von einer Mimik großer Erwartung zu einer Mimik ebenso großen Missfallens, aber auch Verständnislosigkeit. Dabei entfaltet sie viel Komik. Joachim Quirin ist eine hervorragende Besetzung für die Rolle des Gepetto, der sehr italienisch gelassen herüberkommt. Als Puppenspieler und düsterer Kutscher beweist Joachim Quirin ebenfalls großes darstellerisches Geschick. Die Regie von Christian Berg überzeugt. Der Regisseur versteht es, die lange Nase Pinocchios als Erkennungsmerkmal im Stück zu verankern und nicht auf eine vorübergehende Folge von Lügen zu reduzieren. Im Musical lügt Pinocchio auch eher selten, er wird stattdessen vielmehr belogen von seinen angeblichen Freunden. Herausragend sind die Kompositionen von Konstantin Wecker, der beschwingte Rhythmen unter anderem mit Calipso-Elementen aufpeppt. Mehrere Songs sind geeignet für Stepp-Einlagen, die vor allem von Alexandra Kurzeja und Raphaela Steiner leichtfüßig getanzt werden. Der Titelsong „Pinocchio- der Held der Welt“ wird zum Mitsing-Lied und zum Zugabensong. Insgesamt ist „Pinocchio“ in der Gesamtbewertung von Musical-Zeitung.de ein schwungvolles Musical mit großem Erlebnischarakter.